Mitternacht war schon vorüber. Die vollen Kneipen der Neustadt hatte ich links liegen gelassen. Ich folgte einem sogenannten Insider-Tipp. Am Nachmittag hatte mir ein Bekannter erzählt, dass heute in dem ehemaligen Malerladen wieder eine wilde Party steigen würde. Schon vor einigen Wochen war ich auf dieses kleine Ecklädchen aufmerksam geworden, tagsüber verhält es sich meist still und unauffällig, doch an manchem Wochenende erwacht hier das Leben.
Inzwischen bin ich angekommen und stoße mit Mühe die Tür auf. Ein dichter Schwaden aus Alkohol und Zigarettenqualm empfängt mich. Der Duft von frischen Fettbemmchen steigt mir in die Nase und meine Brille zeigt noch immer das übliche Winterverhalten, sie beschlägt. Der kluge Brillenträger baut vor und ich habe für solche Gelegenheiten immer ein kleines Taschentuch parat. Binnen weniger Sekunden kann ich alles haarscharf sehen. Es scheint als wäre ich in einem Hinterzimmer gelandet, neben mir ein Büfett mit den Fettbemmchen und einigen Salaten, in einer Ecke verschiedene Kästen mit Bier. Selbstbedienung ist angesagt.
Männlich ausgestattet mit Zigarette und Bier kämpfe ich mich durch das Menschenknäuel bis vor mir ein fast leerer Raum auftaucht. Laute, rockige Klänge schlagen an mein Ohr und ein ziemlich kräftiger Mann dreht sich hingebungsvoll im Kreise. Ich habe die Tanzfläche erreicht, zu späterer Stunde wird sie ihrem Namen noch alle Ehre machen.
Hinter dem einsamen Tänzer zeichnet sich das DJ-Pult und der Disc-Jockey lümmelt lässig in einem Sessel und wiegt im Rhythmus mit.
Ich suche mir ein freies Fleckchen an einer Wand und beobachte die Leute. Zeitweilig fühle ich mich um rund zehn Jahre zurück versetzt. Das Flair und die Menschen hier ähneln den Anfangsjahren des Szene-Viertels äußerst stark. Lederjacken und zerschlissene Jeans dominieren die Kleiderordnung. Die Gespräche drehen sich um Musik und Biersorten.
Der DJ wechselt die Musik, lateinamerikanische Klänge und prompt stürmen die Mädchen auf die jetzt zu Recht so genannte Tanzfläche. Die Illusion zerplatzt mir wie eine Seifenblase. Auf dem Heimweg auf der Louisenstraße, vor mir steigen zwei elegante Herren aus ihrer schwäbischen Luxuskarosse. Der eine fragt halblaut, ob das jetzt hier das Szene-Viertel wäre. Nein, denke ich, nicht mehr. Und wenn doch dann wirst Du es nicht finden.