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Rolf Töpfer: Von Mörderinnen und betrunkenen Pferden

Rolf „Rolli“ Töpfer schlägt ein Treffen im Schwarzmarkt-Café auf der Hauptstraße vor. Zum Beschnuppern. In einem kleinen Büchlein stehen in geschwungener Schrift Notizen. „Sie müssen dann selbst entscheiden, zu was ich etwas erzählen soll“, sagt er und legt gleich los. Von legendären Mordfällen, zwielichtigen Kneipen und betrunkenen Pferden. Schaurig und lustig sind die Geschichten, wortgewandt und klug der Erzähler. Ergebnis ist ein buntes Potpourri erstaunlicher Erinnerungen.

Ich bin seit meiner Kindheit wohnhaft gewesen im Haus Talstraße drei, im zweiten Stock. Umgeben von vielen Langzeitmietern, wo eine gewisse Solidarität herrschte. Es gab keine geschlossenen Türen. Man ließ die Türen oft angelehnt und brachte für den Nachbarn was mit. Besonderheit war, dass diejenigen, die gehbehindert waren, eine Liege in den Erdgeschoss-Wohnungen eingerichtet bekamen, sodass sie im Falle eines Bombenangriffs schneller Schutz im Keller finden konnten. So habe ich das erlebt. Und so habe ich auch den Angriff am 13. Februar erlebt.

Der erste Angriff kam dreiviertel zehn des Abends. Wir, die ganze Familie Töpfer, mein Großvater, Großmutter, meine Mutter, meine Schwester, sind alle in den Keller und haben den ersten Angriff gut überstanden.[…] Mein Großvater entschied: wir gehen aus dem Keller heraus und in den Wald. Meine Großmutter hatte Wasser in den Beinen, das weiß ich noch. Ich war damals sieben Jahre alt. Und so sind wir in die Dresdner Heide in die Nähe des Fischhauses und haben dort aus Sicherheitsgründen Nachtlager gemacht.

"Wir waren eine verschworene Kinder-Gemeinschaft"
„Wir waren eine verschworene Kinder-Gemeinschaft“
Als wir zurück kamen, sahen wir vom Waldschlößchen aus ein Lichtermeer über der Stadt. Wir wurden Zeuge der zweiten Welle, des zweiten Angriffs, der noch einmal zerstörend auf die Altstadt niederging. Wir haben dieses Dilemma, diesen Wahnsinn, unbeschadet überstanden.

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In den Folgetagen gab es kein Wasser, alles war zerstört. Wir Kinder fanden es sehr belustigend, mit Eimern zu Pfunds Molkerei zu laufen. Die hatten eine eigene Quelle. Oben auf den Eimer kam ein Holzstück, um das Überschwappen des Wassers zu verhindern. Das ganze Ausmaß hat man gar nicht so wahrgenommen. Es gab vorher ja auch schon Angriffe auf Dresden – wir Kinder erfassten das nicht in der Tragweite.

Zu dieser Erinnerung an den dreizehnten gehört auch, dass in der ersten Märzwoche LKWs mit Anhängern Richtung Waldschlößchen hinaus fuhren und wir darauf Gebeine sahen. Das waren offensichtlich die Toten, die in der Innenstadt geborgen wurden.[…]

Zu den gravierenden Erlebnissen für ein Kind gehört, dass wir mit der Mutter etwa zehn Tage nach dem Angriff an der Elbe waren. Wir liefen elbabwärts in Richtung Albertbrücke und sahen dann aus dem Zirkus Sarrasani herausgelaufene Tiere tot am Strand liegen. Kleine Ponys, die mir heute noch schreckliche Erinnerungen wach rufen.[…] Der Festbau des Zirkus Sarrasani, dort schauten wir in den Keller und sahen die verkohlten Elefanten, die noch in ihren Fußfesseln standen.[…]

Wir waren auf der Talstraße, durch die soziale Struktur, die dort herrschte – es waren ja alles keine reichen Leute, die dort wohnten – eine verschworene Kinder-Gemeinschaft. Wir haben uns alle blendend verstanden und alle die Narreteien gemacht, die Kinder nun mal machen.[…] Zu einem unrühmlichen Namen in Dresden brachte es Frau Frieda Lehmann von der Talstraße 9. Frau Lehmann hatte eine Freundin ihrerseits und deren Sohn in ihrer Wohnung aus Neid ermordet. Das Unglaubliche für uns alle war, dass sie, da sie in einer Fleischerei arbeitete, diese beiden Menschen verarbeitet hat und das Produkt als Fleischreserve verkaufte.*[…]

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"Das war selbst für unsere Verhältnisse etwas Sensationelles"
„Das war selbst für unsere Verhältnisse etwas Sensationelles“
Die Neustadt war eine Arbeitergegend. Da war an jeder Ecke eine Kneipe. An eine erinnere ich mich: das Hotel und Restaurant „Rendsburg“ an der Ecke Louisenstraße/Kamenzer Straße. Ich wurde von meinen Onkels, die aus dem Krieg kamen, öfter mal zum Bierholen geschickt und da erinnere ich mich noch, dass es da einen Fuhrunternehmer gab, der seine Pferde auf der Martin-Luther-Straße eingestellt hatte. Der hieß Baron. Wenn Herr Baron, ein sehr origineller Mensch, einen großen Tag in sich verspürte, ließ er sich zu einer besonderen Attraktion hinreißen. Vor der „Rendsburg“ stand ein Laternenpfahl, an den er die Pferde band. An der Biertheke ließ er dann die Gläser aus den Spülbecken räumen und diese mit Bier füllen, um dann die Pferde unter der Freude aller Anwesenden dieses austrinken zu lassen. Das war selbst für unsere Verhältnisse etwas Sensationelles. Hat uns sehr begeistert.

Die „Affenschänke“ auf der Schönfelder Straße hatte eine grandiose Bierzapf-Anlage. Damals wurde das Bier noch in Fässern angeliefert und von dem Pferdewagen führten vom Anhänger Streben nach unten bis an den Bierkeller und so wurden die Fässer runter gerollt. Die Wirtin von der „Affenschänke“ hatte eine Pumpanlage, mit dem sie das Bier aus dem Keller nach oben pumpte. Wenn wir dann die Kamenzer Straße hochgingen, so haben wir es als junge Burschen erlebt, war oben am Bischofsweg die Kneipe „Hackepeter“. Das war eine ausgesprochene Bierkneipe, wo es sehr rustikal zuging. Woher der Name kommt, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob es dort Hackepeter als Spezialität serviert gab.[…]

Auf Alaunstraße und Görlitzer Straße gab es unzählig viele Kneipen mit spezifischen Charakter – alles sehr lustige Wirtshäuser. Die Kellner trugen keine Krawatten. Deutlich weniger Establishment, wie man es heute nennt. Bei uns gab es damals noch kein Westfernsehen und dieser Umstand wurde gern zum Anlass genommen, sich in der Kneipe zu treffen. Die Kneipen waren voll.[…]


    * Mehr zum Mordfall Frieda Lehmann im Buch „Bonnie & Clyde vom Sachsenplatz: und zwei weitere authentische Kriminalfälle aus Dresden“ von Henner Kotte (ISBN-10: 3959580541) – Ob Frieda Lehmann das Fleisch tatsächlich verkauft hatte, wurde nie aufgeklärt. Ein kurzer Abriss auch auf dresden-neustadt.de


Memento

Die Neustadt ist Kult, Szene und vor allem eines: jung. Doch im Viertel leben auch Menschen mit Geschichten aus einer Zeit, da in Dresden-Neustadt an Szene noch nicht zu denken war. In der Serie „Memento“ stellen wir immer sonnabends Persönlichkeiten und ihre Viertel-Geschichten vor. Haben Sie auch eine spannende Viertel-Geschichte zu erzählen? Nehmen Sie mit uns Kontakt auf.

8 Kommentare

  1. doch, Frieda Lehmann hat das Fleisch verkauft.
    Ein Mitarbeiter von Pfunds Molkerei hatte von ihr gekauft und Brühnudeln gekocht.
    Es hätte süsslich geschmeckt, sagte er als er die Wahrheit erfuhr.
    Siehe auch im Buch: „Bei Pfunds war die Milch weißer“.

  2. So interessant diese Beiträge sind (insgesamt, wenn man alle überblickt, enthalten sie jedoch die Tendenz, das politisch-gesellschaftliche Umfeld [Diktatur von 1933 bis 1989] zu bagatellisieren), irgendwie schade, dass Philine mit einer neuen Serie begonnen hat, bevor sie eine „alte“ beendet hat (die Straßen der Neustadt, das ruht seitdem).

  3. Die Serie „Straßen, Plätze und Brücken“ der Neustadt ruht, ist aber keinesfalls beendet. Und Philine ist weder für die eine, noch für die andere Serie allein verantwortlich.

    Was die von Dir empfundene Bagatellisierung betrifft: Wir haben die Leute nicht nach irgendwelchen Kriterien ausgewählt und auch nicht die Texte um politische Aspekte gekürzt. Es sind die Erinnerungen der Befragten. Vielleicht ist es ja bezeichnend, dass sich die Leute an das politisch-gesellschaftliche Umfeld so wenig erinnern.

  4. @Anton: das Buch gibt es m.E. nicht mehr. Aber Paul Pfund hat mir eines seiner letzten Exemplare geschenkt. Das stelle ich Dir gern mal zum Schmökern zur Verfügung.

  5. @Andreas: Da müssten wir zuvor aber auch klären, wie weit eine Aussage wie „Diktatur von 1933 bis 1989“ der Bagatellisierung Tür und Tor öffnet.

    Ganz mit Anton übereinstimmend öffnet doch diese Serie den Blick in eine private Welt und in ein Leben, das nicht zwangsläufig für oder gegen ein Weltbild gelebt wurde, sondern zunächst überhaupt einmal gelebt wurde. Das heißt freilich nicht, dass sich dieses Leben den Fragen nach politisch-moralischer Verantwortung entziehen kann; dass der politische Kontext aber oftmals wenig Platz einnimmt, spricht, wie bereits angeführt wurde, auch für sich.

  6. Hallo Andreas,
    „Diktatur 33 bis 89“:
    Die Totalitarismusdoktrin zieht sich wie ein schwarzbrauner Faden durch die gesamte Geschichte der Bundesrepublik. Die heute gebräuchlichste Ausprägung ist der Versuch, die Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit des Kampfes „gegen jegliche Art von Extremismus“ einzuschwören mit unüberhörbarer Betonung auf die besondere Gefährlichkeit des „Linksextremismus“.

    In der neuen Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung wird die „Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur“ in einem Atemzug mit „Gedenkstätten und Erinnerungsorten zur NS-Terrorherrschaft“ genannt. Was immer in der DDR an Ungerechtigkeiten und Verletzung der Menschenrechte geschehen ist – gegenüber den 60 Millionen Toten, die der deutsche Faschismus zu verantworten hat, bleiben es Fußnoten der Weltgeschichte.

    http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1039

    So’n gewisser Unterschied zwischen den 12 Jahren mit KZ, Krieg und Massenmord und 40 Jahren Frieden, sozialer Sicherheit, dem Versuch, Lehren aus der Geschichte zu ziehen und eine fortschrittliche Gesellschaft zu entwickeln, trotz Kriegszerstörung, kaltem Krieg, Embargo, … durchaus vergleichsweise erfolgreich (bei allen bekannten Mängeln und, ja! Dumm- und Schändlichkeiten)
    sollte selbst Dir auffallen.
    fyi:
    https://sascha313.wordpress.com/2015/11/20/die-antikommunistische-totalitarismus-doktrin/
    „Die wohl zu den größten historischen Verzerrungen zählende Behauptung bürgerlicher Gesellschaftslehren besteht darin, Faschismus und Sozialismus als wesensgleich hinzustellen. Diese These bildet den eigentlichen Kern der „Totalitarismus“-Doktrin. Unter Mißachtung der historischen Tatsachen und Erfahrungen behaupten die bürgerlichen Ideologen, daß Faschismus und Sozialismus gleichen gesellschaftlichen Ursachen entspringen, wesensgleiche Staats- und Gesellschaftsformen darstellen und in ähnlicher Weise die Menschen unterdrücken und ihrer Freiheit berauben. Als die letztlich entscheidenden Merkmale eines „totalitären Systems“ werden willkürlich die Existenz einer staatsbestimmenden Partei und einer ihr eigenen Ideologie hingestellt.“

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