Hans Kämpfs Kindheit ist vom Bombardement Dresdens überschattet. Doch er schildert heiter und mit viel Lachen. „Eigentlich war alles schön“, sagt er und schlürft an seinem Eiskaffee. Gemeinsam mit seiner Frau wohnt er wieder in der Altstadt, wo er geboren wurde. Die Erinnerungen an die Gegend um die Dreikönigskirche sind noch lebendig.
Geboren bin ich in der Altstadt, auf der Moritzstraße. Aber wir sind dann bald in die Neustadt gezogen. Mein Vater hat in der Schützenkaserne gearbeitet, der war Rüstungsinspektor. Die Wohnung war größer. Eine Sechszimmerwohnung auf dem Niedergraben.[…]
Dort hinter ging es zum Zirkus Sarrasani. Dort waren wir als Kinder oft. Der Einlassdienst hat gesagt: „Wenn ihr euch ruhig verhaltet, könnt ihr hier hoch gehen.“ Und so sind wir fast jeden Tag dort gewesen. Das war nie langweilig! Ich war sechse. Ich bin ’37 geboren – und ’45 war ja der Angriff, da wurden wir ausgebombt.
Unsere Wohnung hat es direkt getroffen. Wir sind runter in den Keller, wir waren noch nicht ganz unten, da flogen oben die Bomben rein. Wir sahen nur noch unser Klavier und alle Sachen brennen. Das hat man gesehen, weil die Hauswand eingestürzt war. Wir sind dann in eine Schenke auf der Heinrichstraße, die hieß Liliput. Zum zweiten Angriff sind wir in das Hotel gegangen, was heute Bellevue ist. In der Mitte dort war der Keller. Dort sind wir später runter.
Dort waren Zwölfhundert Mann. Der Angriff war noch gar nicht vorbei, da sind wir dort raus. Mein Vater sagte: „Hier wird nüscht. Hier gehen viele drauf.“ Sind dann auch viele durch Gas und so umgekommen. Wir sind dann die Königsstraße hoch und auf die Hospitalstraße. Dort wohnte eine Bekannte von meinen Eltern. Die war auch ausgebombt, das Haus brannte. Mein Vater hat dann einen Militärjeep angehalten und der musste uns nach Radebeul fahren. Es gab dort eine Gaststätte, die hieß „Zum Russen.“ Und dort war eine Einheit. Ein Bekannter meines Vaters leitete die Einheit, der war Hauptmann. Der sagte: „Hier könnt ihr zwar nicht bleiben, aber ich finde was.“ Und so sind wir nach Radebeul ins Bilzbad, in einen Bungalow gezogen.
Meine Schwester und ich waren dann grade rüber in Wahnsdorf. Da hatte einer eine Biberfarm, dort haben wir daweile geschlafen. Das war dann bis Mai ’45. Bis Mai musste man wieder rein, weil der Zuzug gesperrt wurde in Dresden. Meine Mutter ist dann auf den Obergraben, wir hatten eine Wohnungszuweisung. Da war schon eine drin, die hatte auch eine Wohnungszuweisung. Wir kannten uns ja dort alle und die Frau sagte: „Frau Kämpf, das ist für Sie auch viel zu klein. Ich weiß aber von einer Wohnung An der Dreikönigskirche 8. Dort ist eine frei.“ Wir waren sechs Kinder. Da sind wir dann dort reingezogen.[…]
Das war der Angriff. Danach mussten wir ja wieder in die Schule gehen. Wir sind in die vierte Grundschule gegangen, früher Volksschule, auf die Glacisstraße. Bis die acht Jahre um waren. Dann habe ich Feinmechaniker gelernt und später Krankenpfleger. Ich war 40 Jahre in Arnsdorf. Wir haben immer gesagt: „Wenn wir Rente kriegen, ziehen wir zurück nach Dresden.“ Das haben wir dann gemacht.[…]
Im Winter sind wir Rodeln gegangen ins Japanische Palais. Und im Sommer haben wir den üblichen Blödsinn gemacht. Na ja, und in den schlechten Jahren ’45, ’46, ’47 hatten wir zu tun mit Essen beschaffen und so. Es gab ja nichts. Wir waren auf dem Güterbahnhof in Dresden, da ging es hinten hoch. Heute ist ein Tor davor, das war früher nicht. Da haben die Russen Briketts abgeladen.[…] Es war kalt wie in Sibirien. Da hatte die Polizei meinen Bruder beim Klauen erwischt. Der hatte den Wagen schon runter gezogen. Und der Polizist hielt meinem Bruder einen langen Vortrag und derweil habe ich den Wagen genommen und bin damit abgehauen! (lacht) Der hat sich nach dem Wagen umgeguckt und ich war weg![…] Das war so ein Erlebnis.[…]
Ich hatte eine Tante in Lommatzsch und die hat für uns gesorgt[…] Und im Bilzbad waren die Russen unten in der Kneipe. Kann ich jetzt nicht mehr sagen, wie die hieß. Die hatten uns gesagt, wir sollen mit dem Topf hinkommen, der würde uns was geben, der Koch. Der hat uns immer gegeben. Das war interessant: der dachte einmal, der gibt mir eine Büchse Milch. Es stand was Amerikanisches drauf und er meinte, es wäre Milch. Und zuhause haben wir das aufgemacht und die Büchse war voll mit Zigaretten. Mein Vater hat sich gefreut![…]
Bei uns war das ja noch anders. Als wir aus der Schule kamen[…] Ich war der Sohn eines Kriegsverbrechers. Ich konnte nicht zur Oberschule, das hat man nicht zugelassen. Bei meinem Bruder war das dann schon wieder bisschen anders. Der konnte dann wenigstens die ABF (Arbeiter- und Bauernfakultät) besuchen und dort sein Abitur machen. Der ist dann auch Opernregisseur geworden. Der hat Musikwissenschaften studiert. Diese Richtung wollte ich nicht, ich wollte Jura machen. Aber na ja, wie es eben so ist. Man hat sich damit abgefunden.
Meinen Vater wollten sie einsperren, aber es ging nicht. Der hatte sich das Bein verletzt und dann haben sie davon abgesehen. Meine Mutter hat gesagt: „Den können sie gleich mitnehmen. Ich bin gerade dabei, den nach Friedrichstadt zu fahren.“ Bei uns waren alles Trümmer ringsherum und da hatte der sich wie einen kleinen Garten gemacht und sich ein kleines bisschen am Bein verletzt. Und das war böse geworden. Krankentransport gab es ja nicht und so musste meine Mutter ihn mit dem Leiterwagen fahren. Und da kamen die und wollten den abholen! Weil er Kriegsverbrecher war. Er war in der Rüstungsinspektion. Er ist ins Krankenhaus gekommen und dann hat sich keiner mehr drum gekümmert.
Mein Vater war eigentlich Heizungsbauingenieur. Er ist da so hinein gerutscht. Mein Vater war erst in der Neuen Heimat, eine Baugesellschaft. Die hatten meinen Vater rausgeschmissen, weil er nicht in der Partei war. Er ist dann zur Rüstungsinspektion, die suchten Leute. Und dort ist der kommandierende General gekommen und hat zu meinem Vater gesagt, weil die alle nun so dort standen, die Neuen, mit Parteiabzeichen – und mein Vater hatte keins. Und da tippte der General ihm an die Stelle, wo das Abzeichen sein sollte und sagte: „Er ist doch auch hier in der Partei.“ Und ehe mein Vater nein sagen konnte, brüllte der General: „Selbstverständlich, Herr General!“ Und dann war es erledigt. Dann ist er weiter gegangen. Sonst hätte er die Stelle auch nicht gekriegt.[…]
Im Viertel hat sich vieles verändert. Aus der Kindheit die Läden sind alle weg. Auf der Königsstraße hatten wir den Frisör, Schreibwarenladen Paufler und dann hatten wir Hohlfeld, an der Ecke vom Obergraben. Ein Textilladen. Früher war dort ein Görlitzer drin, ein Lebensmittelladen. Heute so was wie Edeka. Später war Konsum drin. Dann war Fisch-Kiehne (heute Pastamanufaktur), gleich neben dem Bäcker oder die Dreikönigsdrogerie. Und an der Ecke der Bauch (eine Kneipe). Da kann ich mich entsinnen, denn meine Mutter wollte, dass wir in der Kirche heiraten. Und da hab ich gesagt: „Das ist nicht so schlimm. Geh du mit meiner Frau in die Kirche und ich geh in den Bauch.“ Wir haben dann nicht in der Kirche geheiratet. Heute ist der Eingang eine spanische Tapaskneipe.[…]
Memento
Die Neustadt ist Kult, Szene und vor allem eines: jung. Doch im Viertel leben auch Menschen mit Geschichten aus einer Zeit, da in Dresden-Neustadt an Szene noch nicht zu denken war. Wir stellen in der Serie „Memento“ immer sonnabends Persönlichkeiten und ihre Viertelgeschichten vor.
- Haben Sie auch eine spannende Viertel-Geschichte zu erzählen? Nehmen Sie mit uns Kontakt auf.
So viel Erleben reicht doch für zehn.
(@ Philine: Bilzbad mit weichem P)
Danke Torsten. Hab es korrigiert.
Kleiner Klugscheißerkommentar: Das Bad kommt zweimal vor: also bitte nochmal das P mit dem B tauschen ; )
Danke. Erledigt.