Ein Gastbeitrag einer langjährigen Leserin und Neustädterin, die nun aus Dresden wegzieht.
Liebe Neustadt
Du buntes, manchmal schmutziges, betrunkenes, lebhaftes, von Kinderlachen besetztes Viertel, dass sich zu später Stunde am Eck zum Kollektiv bildet.
Eine Gruppierung aus verschiedenen Menschen, die sich einfach zusammenfinden, weil es gemeinsam manchmal schöner ist. Dann hängt auf einmal ’ne Schaukel an der Ampel oder mitten im Sommer steht ein Weihnachtsbaum auf der Straßenkreuzung.
Es ist egal, ob die Gitarre schief ist – das Konzert steht! Oder die Kiste vom „Fahrradmike“ spielt die trashigsten Hits der 90er – wiedermal.
Liebe Neustadt, ich bin immer noch verliebt. Verliebt in deine kleinen Details: die Schönfelder appelliert auf dem Gehweg „come and find me“, während die nächste Straße „her mit dem schönen Leben“ fordert oder du mich mit Gehweg-Geschenken bereicherst. Überall belehrst du mich eines Besseren „Schön, dass du da bist!“, wenn ich mal wieder im Gedankenkarussell kein Ende finde.
Mir werden deine bunten Wimpel auf der Louisenstraße fehlen, deine warmen Lichter zur Weihnachtszeit, Bui’s Rettung in letzter Not via Mate, Heidelbeeren, Notfallschokolade und das immer nette Lächeln. Du implizierst mit ein Naturgefühl in der Heide, bringst mich an den Elbwiesen zur Ruhe, besonders am Abend… auf der Schaukel an der Prießnitzmündung. Die besten Bücher werde ich weiterhin am Liebsten in dem Laden erwerben, in dem der angebliche Inhaber das Aufenthaltsrecht bei seinem roten Kater durchsetzte.
Liebste Neustadt, es ist fatal dich jetzt zu verlassen, wo ich es doch endlich geschafft habe, im Mamaris meine Bestellung mit „japp, wie immer“ zu ordern. Ich mag deine schrillen Gestalten, deine verschobene Art mit der Zeit umzugehen und an manchen Tagen den alkoholisierten Atem anzuhalten.
„Überall dieses Geschmiere“ schimpft mein Vater und ja, nicht alles ist schön; aber hat mir nicht so mancher Spruch auf deinen Gehwegen, Fensterbänken, Hauswänden und Türen schon so manch besonderen Augenblick gewährt?! Und was ist mit dir? Füllst du dich nicht gerade damit? Bunt und einfach anders zu sein.
Du wirst dir nicht alles bewahren können. So wie wir uns stetig verändern, kannst auch du die Zeit nicht anhalten. Zur BRN halten wir die Luft an – atmen den Takt der Musik, staunen Luftlöcher aufgrund der Luftschlösser, die uns Kleinkünstler zaubern. Wir eifern ins Neustadtgelichter, leuchten von innen den Glühwein hinaus und erhellen somit die Winterhütt’n.
Ich schau in die sommerlichen Buden der Scheune, bestaune das Mobile an festgezurrten Schnüren, jage von einem Zelt zum anderen und lasse mir die Zukunft der Karten erzählen.
Und Neustadt, du beherbergst so viele Menschen, die mir so einiges bedeuten. Die, die dich mit Leben füllen, mit Flausen und Konfetti überschütten. Alles kann, nichts muss.
Ich kann in jedem Stadtteil Dresdens einkehren, aber das Gefühl nach Hause zu kommen, das gibst nur DU mir.
Du findest unzählige Gründe dich zu feiern, beim Neustadt-Art-Festival, dem Gelichter, der Bunten Republik Neustadt, dem Schaubudensommer, bei Umsonst & Draußen und dem tangierenden Dave-Festival. Es ist eine wundervolle Liaison mit dir. Mir ist bewusst, du bist wesentlich älter, du bevorzugst Polygamie und ich will dich lassen, damit du leben kannst.
Ich muss dir jedoch sagen, diese überheblichen Eigentumswohnungen, geziert aus starren Blöcken – grau in grau. Sie stehen dir nicht, aber ich kann verstehen, dass deine Eskapaden nur bedingt DEINE eigenen sind.
Bleib wer du bist oder schon immer sein wolltest. Ich komme dich besuchen und dann schenk‘ ich dir Tulpen von Bui.
In Liebe, Lisa Heide.
Tapetenwechsel von Zeit zu Zeit tut gut. Zumal die Neustadt immer voller und stressiger wird. Ist man ne Weile raus und geht mal wieder rein, merkt man das sofort…
Wunderschön zu lesen, und ich kann Allem nach über zwei Jahren hier wohnen zustimmen!
Danke für den Text! :o)
Das hast Du so toll geschrieben! Ich liebe die Neustadt auch. Aber was ich noch viel mehr liebe, und das immer und immer wieder, sind Deine Worte!!! Du wirst mir hier, wenn auch nicht in der Neustadt, sehe fehlen. Wobei, doch auch in der Neustadt, denn Dein zu Hause war wie mein zweites zu Hause! Danke ❤
„…das ging rein… “ Abschied is doch furchtbar….Ich blb hier… :)
berührende Worte, danke, lg
Ich bin auch bald weg, nach über 50 Jahren hält mich hier nichts mehr in der Neustadt.
@ Tamara
na? ich glaube das sind zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die Neuse…. ;) lg
@kanneko @Tamara Koiber
Ich lebe hier. Und meistens liebe ich sie. Und manchmal verstehe ich sie nicht. Die NEUSTADT. Aber der Beitrag von Lisa ist das, was er sein soll. Eine Liebeserklärung. Und das ist doch okay…… ;-)
@bob
Das hört sich nach einer guten Beziehung an! :o)
Meine Liebe ist noch frisch, aber sie ist über die Verliebtheit hinaus. Ich hoffe, dass meine Beziehung zur Neustadt noch lange Zufriedenheit, Spannung, Nichtverständnis und all das bereit hält, das Liebe nicht rosten lässt, und auch in schwierigen Zeiten Zusammenhalt bietet.
@marcus
LOL…. wie schon gesagt: du bist ja noch jung…….
@bob
Glaubst du!
In meinem Inneren bin ich alt, müde und Misanthrop.
Aber in dieser wunderschönen Umgebung entfaltet sich meine jugendliches Ich! :o)
Am Ende macht es die Mischung!
Und natürlich die Umgebung mit Leuten. So wie du ein Leut bist, den ich mit Entfernung mag.
@bob
Aber eigentlich hast du auf deine teilweise unwirsche Art in Ergänzung zu dem Text deine jugendlich romantische Seite gefunden.
Aber das war ja nur dein junges Ich! :o)
@Marcus
Diese Seite hab ich nicht gefunden, sondern bewahrt…..Mein Zynismus hält mich jung….. ;-)
der Bob und der Marcus…. “ eine Liebeserklärung? “ ;) lg
Ach herzlichst! Immer mehr Liebesbekundungen.
Die Neustadt ist ja vielseitig. Sicher mochte ich auch nicht jede Ecke… aber als Grundgefühl war die Neustadt unendlich bereichernd. Und genau DAS wollte ich mit diesem Text sagen :)
Da darf jede/r gern eine eigene Befindlichkeit haben.