Es beißt. Wenn ich es doch nur sehen könnte. Keine Chance. Ständig zwickt es mich, in die Wangen, in die Nase und jetzt schlägt es mir wie eine Keule an die Stirn. Die Kälte kann ganz schön gewalttätig sein. Und ich habe dummerweise die Mütze zu Hause gelassen. Aber jetzt gehe ich nicht noch einmal zurück, schließlich bin ich gerade auf meinem obligatorischen Rundgang durch die Neustadt.
Neues Jahr, neues Glück werden sich wohl einige Kneiper am 1. Januar gesagt haben und schon heute ist die Enttäuschung wieder groß. Wo immer ich auch hinsehe, nur leere Räume, von den Dauerbrennern auf der Louisenstraße mal abgesehen. Diese Leere ist es dann auch, die mich abhält, sofort in das eine oder andere Lokal hineinzustürmen. Also stapfe ich weiter vor mich hin. Da an diesem Montag Abend so wenig in der Neustadt los ist, kann ich sogar den Schnee unter meinen Füßen knirschen hören. Oder ist es doch der Rollsplitt den ein eifriger Hausmeister darüber gestreut hat? Na jedenfalls knirscht es und die Kälte zwackt noch immer.
Am Martin-Luther-Platz bin ich so durchgefroren, dass ich dringend eine Aufwärmung brauche. Doch was muss ich lesen? „Fermé“ – geschlossen. Nun, es ist wohl noch zu früh, oder hatte das Ma Cherie vielleicht montags einen Ruhetag. Egal, jetzt muss ich ganz schnell weiter. Die Kneipen auf der Böhmischen Straße können mich heute nicht reizen, auch wenn der Kachelofen vom Hebedas lockt.
Halb schlitternd, halb rennend erreiche ich das Hieronymus, das neuerdings „AM Hieronymus“ heißt und lasse mich am Tresen fallen. Einen Rotwein und einige Zigaretten später geben die Brillengläser die Sicht wieder frei. Ich bin aufgetaut genug, um Konversation zu suchen und lausche mit Interesse den Kneipengesprächen. Mein Tresennachbar erzählt dem Wirt von den Vorteilen der Kälte. Er ist wohl KFZ-Mechaniker und hat jetzt dank irgendwelcher eingefrorenen Filter reichlich Aufträge. Auch der Barkeeper weiß von der Kälte zu berichten und vor allem von seiner Erkältung, die dank massenhaft aufgetragener chinesischer Salbe und herrlich warmen Orangentee jetzt schon wieder abgeklungen ist. Derart aufgetaut, kann ich nun den Heimweg antreten, nicht ohne zu verkünden, dass es demnächst wohl wieder wärmer wird.
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Nachtrag 2013:
Das Hieronymus heißt inzwischen „L“ und ist eine Spielhölle geworden und das Ma Cherie hat sich in die Bar Holda verwandelt.