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Societaetstheater

Von theatralischen Diskussionen

Der Mann im roten Westover hebt seine Stimme und seinen spitzen Zeigefinger immer weiter an. Seine Stimme, die anfänglich sanft und weich erschien, hat sich nun gewandelt, es scheint, als wolle er die ihm gegenüber sitzenden durchbohren. Doch nun hat er eine kleine Pause gemacht zum Luft holen. Dies nutzt einer der von Stimme und Finger Angepieksten um sich zu wehren.

Doch schon nach den ersten Sätzen fällt dem Westover-Mann noch mehr ein und er bohrt weiter nach. Eine zierliche Frau greift ein und versucht sich mit einer eigentümlichen Erklärung von Demokratie, die ja wohl auch etwas damit zu tun hätte, den anderen ausreden zu lassen. Das wirkt, der bohrende Finger zieht sich auf seinen Stuhl zurück, nur sein Schnurrbart zittert noch bedrohlich.

Ich bin mitten in einer Bürgerfragestunde im Gemeindezentrum am Martin-Luther-Platz. Kurz vor der Wahl stellen sich Politiker den Bürgern, schließlich wollen sie gewählt werden, heute geht es um die Waldschlösschenbrücke. Und die Fronten sind klar. Sowohl der Veranstalter als auch der größte Teil des Publikums sind Gegner der Brücke, und auch die im Podium sitzenden Politiker sind mehrheitlich dagegen.

Doch das Erscheinungsbild täuscht. Denn der Wortgewaltigste unter ihnen, ein Anwalt, vertritt eher eine kleine Partei, während der Kandidat einer großen Partei zwar jede Menge Zahlen hat, aber so hartnäckigen Bohrern und Fragern wie dem roten Westover-Mann nicht gewachsen ist. Und die Kandidatin einer anderen großen Partei sagt zu Anfang, dass man früher mal für die Brücke war und jetzt dagegen, dass sie aber eigentlich lieber über Schulen und Kindertagesstätten reden wolle.

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Hallo? Ich gucke noch mal auf den Zettel mit der Einladung. Da steht nix von Schulen. Inzwischen redet der junge Mann vorn im Podium von einer Entlastung der Neustadt durch die Brücke. Das ist doch hübsch, denke ich mir und glaube zu wissen, wo ich mein Kreuz machen kann.

Dann springt hinter mir eine Frau ans Bürgermikrofon und klagt, dass sie als Geschäftsfrau keine Geschäfte mit der Altstadt machen könne, da es während der Rush-Hour unmöglich wäre die Elbe zu überqueren. Das ist offenbar dem restlichen Publikum ziemlich egal, denn es buht die Frau aus und der nächste sprechende Politiker geht auch darauf gar nicht ein, sondern auf die Verlärmung der Fetscherstraße.

Nun wird es mir definitiv zu bunt, demnächst soll ich hier wohl auch noch die Probleme von Pirna und Heidenau diskutieren. Gemütlich ziehe ich von dannen, sehe draußen die Geschäftsfrau in einem dicken Ami-Schlitten davonbrausen und bin mir noch lange nicht sicher, an welcher Stelle ich im Juni mein Kreuzchen machen werde.

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