Seit meinem Treffen mit Evelyne Henze im Tai Chi Zentrum sind einige Wochen ins Land gegangen. Wenn ich die Augen schließe, kann ich mich zurück begeben in die Stille des Raumes mit den klaren Schattenlinien und mich erinnern an das Gespräch mit der Lehrerin, die ihre Rede mit fließenden Handbewegungen begleitet und im Gespräch wie in einem Tanz mit einer Positionsänderung auf jede des Gegenübers antwortet.
Meiner Gretchenfrage Was ist eigentlich Tai Chi? folgte ein zweistündiges Gespräch, das nur anreißen konnte, was diese mit dem Körper gelernte und gelehrte fernöstliche Philosophie ausmacht und das doch gereicht hat, in mir einen kleinen Tempel zu errichten, in den ich einkehren kann.
Der Zugang zum Tai Chi Schule Dresden mutet wenig spirituell an: Oberhalb des Alaunplatzes am kurzen Ende der Tannenstraße passiert der Besucher ein ehemaliges Wachhäuschen und eine Schranke und wendet sich nach links, wo der Weg zwischen Aschetonnen und Hauswand entlang über eine kleine Steintreppe hinauf zu einem flachen DDR-Bau führt.
Evelyne Henze empfängt im traditionellen zweiteiligen Anzug und geleitet in den von ihr entworfenen Empfangsraum. Auf einem langen Holztisch steht zweierlei Tee mit kleinen Keramikbechern bereit. Hinter Stellwänden aus Bambusholz ziehen sich vor Kursbeginn hier die Schüler um. „Tai Chi ist etwas für geduldige Menschen. Man kann sich jahre-, jahrzehntelang damit beschäftigen. Einige meiner Schüler sind seit zehn, fünfzehn Jahren dabei.“ Abgeschlossen ist der Lernprozess nie. Erste positive körperliche Effekte spürt man bereits nach wenigen Wochen: Stressabbau durch meditative Bewegungen, bewusster Atemfluss, Korrektur von „Andershaltungen“ und daraus resultierenden Verspannungen, Innen-Außen-Kommunikation, Harmonie von Körper und Geist.
Sie machte in einem Urlaub das erste Mal Bekanntschaft mit Tai Chi. Ein Pärchen vollführte auf der benachbarten Terrasse jeden Morgen Bewegungen, die für Evelyne aussahen wie ein anmutiger Tanz. Sie fragte nach. Des Rätsels Lösung lautete Tai Chi und als wenig später eine Freundin in Bonn sie zu einem Schnupperkurs einlud, zögerte sie nicht lange. „Es war eine Offenbarung“, sagt sie. „Früher dachte ich, ich wäre entspannt. Wenn ich jetzt zurückblicke, bemerke ich, wie viel Ruhe ich dazu gewonnen habe und kann nur ahnen, wie viel es in ein paar Jahren sein wird.“
Die Idee eine Tai Chi Schule zu gründen, stammt von Evelynes Mann Olaf. Beide wohnten in Bonn, als Olaf ein Jobangebot als Sozialpädagoge in Meißen erhielt. Im Projekttheater gab er 1998 die ersten Stunden. „Anfangs pendelte er dafür extra zwischen Bonn und Dresden“, erinnert sich Evelyne. Man fand eine eigene Räumlichkeit in dem „grauen Kasten“, in dem sich das Kästner Kolleg befindet. Hier waren allerdings die Decken zu niedrig, denn Tai Chi wird in den höheren Graden auch mit dem (Holz-)Schwert betrieben. Das Glück lag nahe: Der Vermieter des Flachbaus war mit den Plänen der Henzes einverstanden und das Tai Chi Zentrum zog ein. „Das war hier wohl ehemals Kantine“, sagt Evelyne und zeigt eine dekorative Wand aus drehbaren Holzbrettern. Es sieht aus, als hätte der Raum schon immer von Tai Chi geträumt.
Am 1. September 2016 übernahm Evelyne die Leitung des Zentrums, da ihr Mann sich mehr auf seinen Beruf konzentrieren wollte. Es war für alle ein heikler Moment. „Die Bindung zwischen Lehrer und Schüler ist beim Tai Chi sehr intensiv“, erklärt Evelyne. „Ich war mir nicht sicher, ob die nötige Akzeptanz vorhanden ist, um alle Schüler zu halten.“ Doch es klappte, bis auf wenige Ausnahmen. Das Zentrum lief unter Evelynes Leitung weiter.
Den Übungsraum betritt man ohne Straßenschuhe und mit einer Verbeugung. „Es ist natürlich freiwillig, aber es hilft, den Alltag draußen zu lassen und zollt dem, was in dem Raum passiert, Respekt.“ Tai Chi ist eine Schulung in Sachen Achtsamkeit. Sie beginnt beim eigenen Körper und Geist, führt zu den Mitmenschen bis zur Natur und mündet in Respekt und Demut vor dem Leben als solchem. „Wir üben einen stabilen und durchlässigen Stand“, sagt Evelyne. Wenn also ein Schlag, ein Kontakt auf uns eintrifft, erlerne ich die Kraft, mich dagegenzustemmen? „Nein“, sagt die Lehrerin. „Wir halten unser Zentrum und lassen den Impuls durch den Körper in den Boden abfließen.“
Neben den Kursstunden übt Evelyne selbst das Tai Chi. Ihr Lehrer Andreas Heyden wohnt in Köln. Jährlich trifft sie ihren Großmeister Chu King Hung auf Sardinien, um sich prüfen zu lassen. Das Wissen wird mündlich und körperlich weitergegeben, die Theorie erschließt sich aus der Praxis.
Ich trete hinaus ins Sonnenlicht. Tai Chi ist der Zustand der Seele, wenn sie über das Erleben des Tages nicht eingeschüchtert und eingeklemmt wird, sondern sich entfaltet. Und Tai Chi ist der Zustand des Körpers, der seine Augen öffnet.
Zentrum für Tai Chi Chuan und Chi Kung (ITCCA) Dresden
- Lehrerin Evelyne Henze
- Tannenstraße 2
- www.itcca-dresden.de
Wie jetzt? Evelyn Henze oder Evelyn Richter(siehe Bildunterschrift)?
Henze. Sorry. Korrigiert. Danke für den Hinweis.