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Wannenbad auf Russische Art

Die Gegend rund ums Waldschlößchenareal wurde vor dreißig Jahren kurz Russenviertel genannt.
Die Gegend rund ums Waldschlößchenareal wurde vor dreißig Jahren kurz Russenviertel genannt.
Dresden, Neustadt, 1988. Draußen scheint die Sonne, die Knospen sprießen und mir läuft das Wasser die Wände herunter. Wie bitte?

Nun war in der Zeit eindringendes Wasser nicht besonders ungewöhnlich. Kaum ein Dach in der Neustadt war richtig dicht. Bei Regen stellte man halt Schüsseln oder Eimerchen auf. Aber doch nicht bei bestem Frühlings-Sonnenschein. Ja, Kinder, früher gab es sowas noch.

Früher, das war kurz vor dem Ende der DDR, ich lebte in der sowjetischen Besatzungszone. Also nicht einfach nur in der Zone, sondern ganz konkret unter sowjetischem Einfluss in einer kleinen Wohnung im Russenviertel.

Das Viertel hieß aus praktischen Gründen so, nicht, weil da nur Russen wohnten. Es wohnten auch Armenier, Kirgisen, Letten und vermutlich auch Menschen aus Aserbaidschan dort. Richtigerweise hätte das Viertel „Wohnareal für hochrangige Mitglieder der Roten Arbeiter- und Bauernarmee“ heißen müssen, aber das wäre als Name viel zu lang gewesen.

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Rund um das Waldschlösschenareal in Dresden waren Kasernen, in denen die Soldaten in Doppelstockbetten und mit strengen Schließzeiten hausten. Die Offiziere durften ab einem gewissen Grad (ab achthundert Gramm Orden und Bronzeketten auf der Uniform) ihre Gattinnen nachholen und wohnten dann in Häusern rund um die Kasernen. Ein späterer russischer Präsident lebte in dieser Zeit auch in der Nähe.

Doch in diesem Russenviertel wohnten auch ein paar Dresdner. Zu erkennen waren die deutschen Wohnungen daran, dass an den Fenstern möglicherweise ein Blumenkasten hing mit Begonien und vielleicht auch noch eine Gardine. An allen anderen Fenstern gab es die gängige, wärmeisolierende Vollfensterverkleidung mit Zeitungspapier. Dort wohnten die Soldaten der Roten Armee.

Die blieben eigentlich immer unter sich. Ich bin mir nicht sicher, aber wahrscheinlich war den Besatzern der Umgang mit den Besetzten oder Besatzerten, also mit uns jedenfalls untersagt. Trotzdem war es hilfreich, wenn man als junges Ding im Dunkeln durch das Viertel ging, schnell rennen zu können oder zumindest zu fluchen wie ein russischer Droschkenkutscher. Sonst konnte es durchaus passieren, dass einem die Deutsch-Sowjetische Freundschaft und der Bruderkuss näher gehen konnten, als einem lieb war.

Heute sind die alten Offiziershäuser schmuck saniert.
Heute sind die alten Offiziershäuser schmuck saniert.
Ich wohnte in einer kleinen, arschkalten Wohnung. Ohne Bad, mit Außenklo auf der Treppe. Die bauliche Substanz war desolat, wie bei fast allen Altbauten in der DDR so üblich. Die Mieter renovierten und reparierten selber und wer das nicht konnte, arrangierte sich mit dem Zustand.

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In meinem Schlafzimmer waren die Wände feucht. Irgendwo gab es ein Leck. Dach kaputt, Dachrinne. Ich wusste es nicht. Regelmäßig floss mir das Wasser in Rinnsälen die Wände herab. Ich bat sogar mal einen Freund mir aufs Dach zu steigen. Aber es nützte nix, es blieb feucht.

An feuchte Wände bei Regen war ich also gewöhnt, aber warum nun bei bestem Sonnenschein. Kein Wölkchen draußen. Lag es vielleicht doch nicht an der Dachrinne?

Über mir wohnte ein Rotarmist mit Gattin. Ich läutete. Er öffnete. Ich erklärte mein Problem. Er erklärte seinen Unwillen, deutsch mit mir zu sprechen: „Я не понимаю немецкий“. Na klar, also wiederholte ich mein Anliegen auf Russisch: „вода капает“. Irgendwie weckte ich die russische Gastfreundschaft und Sergej bat mich hinein.

„Schöner Wohnen“ war bei den Leuten kein Thema. Die russische Dame von Welt ging zwar nie ohne roten Nagellack, Goldschmuck, Goldzähne, onduliertem Haar und Pelz aus dem Haus. Aber das Paar wohnte in einer gänzlich leeren Wohnung mit zwei Hockern und einem Tisch. Irgendwo wird es wohl auch ein Bett gegeben haben, aber ich erinnere mich wirklich nicht mehr. Denn der Raum, der über meinem Schlafzimmer lag (die Nasszelle wider Willen), wäre zwar dafür super geeignet gewesen, aber das Zimmer: leer. Also leer, bis auf eine großen, uralten Zinkbadewanne.

Der Offizier erklärte mir stolz, er habe das Badezimmer selbst eingebaut. Und prompt demonstrierte er mir die Funktionalität. Die Wanne wurde per Eimer mit heißem Wasser aus der Küche befüllt und Gattin Irina konnte sich zum Bade begeben.

War dieser Vorgang beendet und das Wasser erkaltet, entstieg die Gattin der Wanne einer Nymphe gleich. Nun kippte der kräftige Rotarmist die Wanne einfach aus.

Ins Zimmer.

Zwar hatte er in eine Ecke des Raumes irgendein Stück Rohr durch die Wand gebastelt und angeblich mit der Dachrinne verbunden, aber der Löwenanteil des ausgeschütteten Bades tropfte ganz gemütlich durch das Gemäuer.

Jetzt bin mir nicht mehr so sicher, wie die Geschichte weiterging.

Entweder haben wir zusammen „сто грамм“ getrunken, Irina und ich haben Pelmeni- und Quarkkeulchenrezepte getauscht und ich wurde ab jetzt immer zum Baden eingeladen, während Sergej auf der Balalaika für uns spielte und dazu traurige russische Lieder sang.

Oder sie haben mich einfach zur Tür rausgeschoben und alles blieb so wie es war. Bis ich irgendwann auszog.

Ersteres würde mir besser gefallen.

Ein Gastbeitrag von Henrike Voigt, weitere Texte von ihr unter: www.nieselpriem.com


  • War früher alles besser? Als kleine Erinnerungsstütze an das ausgehende 20. Jahrhundert veröffentliche ich in loser Folge ein paar Geschichten über die wilde Zeit von damals.

Alle Geschichten unter #Früher-war-alles-besser?

8 Kommentare

  1. TOP—Danke…mehr kann man nicht sagen……sehr kurzweilig….gib uns mehr von deinen Erinnerungen…

    grussi…..

  2. Schmuck saniert. Von außen vielleicht. Die Häuser auf den Bildern gehören der Deutschen Annigton/ Vonovia einem der schlimmsten Vermieter Deutschlands. Bei denen will man nicht wohnen.

  3. Huch, das Nieselpriemschen auch hier. Freut mich. :) Schöner Text, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt in Sachsen-Anhaltinischen noch grundschulte. Wie wäre es mal mit einem Neustadterinnerungsbuch, da würde ich sofort zuschlagen. Liebe Grüße, Sanne

  4. @Aquii

    Stimmt. Statt seine neue Co-Autorin zu loben, preist der hier seine Ergüsse an. Immerhin hat er ja Humor. Hätten wir nicht gedacht.

    Gefällt uns.

  5. Hallo Sanne, danke Jensi und Statler&Waldorf, ich freue mich, dass ich euch unterhalten durfte! Und der Jan hat sich wirklich Mühe mit dem Text gegeben, ihm sei an dieser Stelle auch noch mal gedankt.
    Herzlichste Nieselgrüße

Kommentare sind geschlossen.