Als Luigi Bentivoglio vom Essebielle in den frühen neunziger Jahren für einen Auftrag nach Dresden kam, wollte er am liebsten auf dem Absatz kehrt machen. Alles war grau, kein italienisches Restaurant wurde von einem Italiener geführt und man hielt Muckefuck für Kaffee. Doch Luigi wäre nicht Luigi, wenn er es nicht probiert hätte. Nach einem beruflichen Schicksalsschlag in München war er auf der Suche nach einem Neuanfang. Er bekreuzigte sich und krempelte die Hemdsärmel hoch. Der Stoff eignet sich für eine Legende: „Wie der Espresso ins Tal der Ahnungslosen kam …“

„Ich wollte eine Firma gründen, um die Existenz meiner Kinder zu sichern“, erzählt Luigi. Der Einstieg ins Familienbusiness war für Tochter Sonia und Sohn Leonardo eine freie Entscheidung, sagt der Altchef. Sonia zieht die Augenbrauen hoch und lächelt vielsagend. „Nennen wir es die sizilianische Methode“, sagt sie. „Ich werde das so schreiben“, kündige ich an. „Mach das“, sagt Sonia. „Die Italiener werden wissen, was gemeint ist.“ Sonia gründete die Firma gemeinsam mit ihrem Vater nach ihrer abgeschlossenen Ausbildung als Einzelhandelskauffrau. Seitdem schmeißt sie Büro und Verkauf.
Wir sitzen im halbrunden Glasbau des Essebielle auf der Johann-Meyer-Straße. Kein Schild gibt Aufschluss über den Mythos, der in ihm wohnt. Der Charme des Interieurs ist irgendwo zwischen mediterranem Café und Autowerkstatt angesiedelt. Reihenweise stehen Espressomaschinen zur Abholung bereit. In der unterirdischen Werkstatt arbeitet Leonardo bis zu 18 Stunden am Tag unter Neonlicht und bringt die Herzen und Seelen der Maschinen wieder in Einklang. Er ist Perfektionist, wie sein Vater Luigi. Beide sind der Königsdisziplin der Kaffeezubereitung verfallen: Dem Espresso. Leonardo repariert mittlerweile allein. Die Kraft in den Händen des Vaters reicht nicht mehr für Hammer und Zange. Aber sie reicht noch, um dem „Baby“, das seinen Platz zwischen Eierkarton bestückten Wänden in einem Proberaum neben der Werkstatt hat, Free Jazz zu entlocken. Leonardo ist froh, dass der Vater sich am Schlagzeug austoben kann. „Sonst würde uns diese bunte Blume hier noch verwelken.“

„Caffé sun“ heißt die bis heute beliebteste Kaffeemischung in Dresden, die die Bentivoglios aus einer italienischen Rösterei beziehen. Entstanden ist sie aus einer egoistischen Motivation: „Ich wollte zumindest einen guten Espresso trinken“, sagt Luigi. Die von kreierte Mischung traf den Geschmacksnerv des Dresdner Publikums – privat als auch gewerblich. „Es ist eben immer auch ein bisschen glückliche Fügung dabei“, sagt Leonardo. Der Rest ist Ahnung und Arbeit.
Ich kann mich an den Nimbus des Magischen erinnern, den Luigi umgab. Wenn die Kaffeemaschine in dem Lokal, in dem ich damals arbeitete, streikte, rief man Luigi. Viel zu häufig reichte sein bloßes Erscheinen und die Maschine hörte auf Schaum zu spucken und schnurrte wie ein Kätzchen. „Das stimmt!“, bestätigt Sonia. „Unser Vater ist wie ein Pferdeflüsterer.“ Auf meinen Einwand, Pferde hätten ein Herz, werfen sich die Bentivoglios gleichzeitig über die silbern glänzende Kaffeemaschine auf dem Tresen. „Die Maschine auch!“ Sie kann mit einer großzügigen Streicheleinheit wieder besänftigt werden.
„Mein Dad ist so etwas wie der Schamane der Firma“, sagt Leonardo lächelnd. Knetmaschinen, Spülmaschinen, Rührmaschinen – mit seiner Erfahrung reicht es, ein Ohr an den Patienten zu halten und er weiß, wo das Schuhchen drückt. „Ich habe eine Wahnsinnsintuition“, sagt Luigi von sich selbst. Eine Fähigkeit, die er auch beim Free Jazz brauche.

Essebielle ist die italienisch ausgeschriebene Form der drei Buchstaben S, B und L. S für Sonia, B für Bentivoglio, L für Leonardo. In der Firma geht es um Philosophie. Und die Kunst des Genießens. Als Ticket für ihre Maschine müssen Kunden eine kleine Barista-Schulung bei Sonia oder Leonardo absolvieren. Alles spielt eine Rolle bei einem guten Espresso. Die Qualität des Wassers, der Zustand der Milch, der Mahlgrad, die Mahlmenge, die Temperatur, der Rhythmus. Essebielle steht für extraordinären Kaffeegenuss. Unter dem macht es der Familienbetrieb nicht. „Der Espresso stammt von einem lebenden Wesen. Er hat auch selbst ein Leben“, sagt Leonardo. Fingerspitzengefühl und Leidenschaft seien gefragt. Das lernt man nicht an einem Tag.
Das Geschäft ist ihr Lebensprojekt, davon sind Vater und Kinder überzeugt. Dass es bei großen Umbauplänen zu Verzögerungen kommt, ist vor diesem Hintergrund zu verschmerzen. Ein Café mit italienischem Flair soll in dem Ladengeschäft entstehen. Die Pläne dafür sind bereits gezeichnet. Die Umsetzung wird durch vorher zu erledigende unaufschiebbare Aufträge verzögert. „Piano, piano“ – alles kommt mit der Zeit. Des öfteren stand der Laden schon auf dem Prüfstand. 2002 versank er auf der Leipziger Straße in den Elbefluten, 2016 musste er mit den Folgen eines Einbruchs kämpfen. Der Vater träumt in die Zukunft, die Schwester will sofort kreativ und energisch umsetzen, der Sohn wägt ab und plant genau. In dem Tempo, das sich aus diesen drei Philosophien ergibt, geht es voran mit dem Essebielle.
Essebielle
- Johann-Meyer-Straße 5
- www.essebielle-dresden.de
„Die sizilianische Methode“
Sofort dachte ich an zwei Puzo Romane, dich ich mal in meiner Jugend gelesen habe, und natürlich an ein paar Filme.
„Ich werde das so schreiben“, kündige ich an. „Mach das“, sagt Sonia.
Ich hoffe, dass es für Philine keinen Pferdekopf als Geschenk gibt! :o)
@Marcus
der Brüller des Tages: „….die ich mal in meiner Jugend….“