Der Kaffeemaschinenservice Essebielle auf der Johann-Meyer-Straße ist legendär auch und gerade wegen seines Chefs: Luigi Bentivoglio. Die Geschichte einer langen Reise.
Ich bin Industrietechniker … Über mich zu schreiben ist kompliziert. Ich habe alles, was ich gemacht habe in meinem Leben, mit Leidenschaft gemacht. Das bedeutet, ich muss mich wohl fühlen, es muss mir passen, ich muss mich besser fühlen durch eine Tätigkeit.
In meiner Familie sind alle Techniker. Mein Vater war Kapitän. Er war der zweite Kapitän des Schiffes, das bedeutet, er kümmerte sich um den Motor. Die Seele des Schiffes. Er war sehr kompetent, aber leider war er an zwei Kriegen beteiligt. Im zweiten wurde er bombardiert. Durch die Explosion flog er von der Brücke ins Meer. Das Schiff sank. Er schwamm elf Stunden in seiner Rettungsweste im Wasser, aber er überlebte. Er wurde von den Engländern gefangen und hatte als Offizier und durch seine Fähigkeiten ein gutes Leben.
Ich habe viel von ihm gelernt und bin auf eine technische Schule gegangen. Ich habe mich selbstständig gemacht, aber es funktionierte nicht. Es gibt ein System da unten … Ich war gezwungen, die Welt zu entdecken.
Die zweite Freude in meinem Leben ist die Musik. Ich übe jeden Tag. Mein Vater war dagegen. Seiner Meinung nach waren Musiker Zigeuner. Mir war das egal. In meiner Jugend war ich ein versteckter Hippie. Meiner Familie konnte ich das natürlich nicht zeigen durch meinen Vater. Aber man kann es so sagen. Ich habe heimlich Schlagzeug gelernt.
Unterstützung habe ich von meiner Mutter bekommen. Meine Mutter ist eine fantastische Frau. Sie hatte leider keine Schulmöglichkeit. Sie stammt aus keiner noblen Familie. Meine Mutter war eine von neun Schwestern und hatte drei Brüder. Zwölf Leute. Das war in dieser Zeit schwieriger für Vater und Mutter – zwölf Kinder erziehen! Aber das spielt keine Rolle. Denn sie war in der Seele eine fantastische Frau. Sie hat uns Ehrlichkeit beigebracht und viel Lebenserfahrung mit uns geteilt. In dieser Form bin ich aufgewachsen.
Mit 18, 19 Jahren bin ich das erste Mal weggegangen wegen der Musik. Ich war in Afrika. Ich bin dort neun Monate geblieben. Es gab damals keine Disko, sondern man hat Tanzmusik mit der Band gespielt. Ich habe im Interkontinental Hotel gespielt. Obwohl ich heimlich üben musste, habe ich gut gespielt. Das habe ich vier Jahre lang gemacht. Profi. Afrika, Mittlerer Osten, Dubai – immer mit dieser Kette. Interkontinental, Sheraton, Hilton. Solche Hotels. Bis Deutschland und Skandinavien. Mein Standpunkt war in München. Da war meine Basis, wo ich gelebt habe und meine Adresse hatte.
Dort habe ich jemanden kennengelernt. Sie wollte mich unbedingt heiraten. Ich war dagegen. Aber wenn jemand sagt, er bringe sich um, wenn du ihn ablehnst – das ist scheiße. Dann kannst du nicht sagen: „Das interessiert mich nicht. Scheißegal.“ Am Ende war sie nicht so schlecht, aber ich wollte frei bleiben. Seit ich mich getrennt habe, habe ich mir keine andere Frau gesucht. Ich habe keine Probleme sexuell … Die Frauen, die ich hatte, reichen für fünf Leben.
Mit dieser Frau war es dann in dieser Form. Ich habe mir gedacht, vielleicht muss man das so machen. Wie meine Eltern. Und meine Familie wünscht sich das. Aber ganz überzeugt war ich nicht. Aber ich war schon immer so: Versuchen wir’s mal. Schauen wir mal, was passiert.
Wir waren 17 Jahre zusammen. Die erste Krise kam nach sieben Jahren. Ich wollte mich trennen, aber meine Mutter, ihre Mutter, das Gericht und alles …
Ich habe mich überreden lassen. Ich sagte: „Gut, ich gebe dir noch eine Chance. Aber wenn du noch einen Fehler machst, bist du ohne Verzögerung raus. Ohne Comeback.“
Dafür ist Leonardo geboren. Da bin ich froh. … Wenn ich jemandem Respekt gebe, dann verlange ich Respekt. Aber wenn jemand diesen Respekt bricht, habe ich kein Interesse mehr. Das war der Grund für die Trennung.
Ich bin also in München geblieben, habe diese Frau kennengelernt. Ich habe aufgehört [Musik] zu spielen, weil sie eifersüchtig war. Ich war immer unterwegs. Was eben typisch für Musiker ist. Ich habe den alten Staub von meinen Technikbüchern geblasen und habe in München wieder angefangen, mich der Technik zu widmen. Ich sprach damals nur Englisch. Ich fing als Lehrling an, obwohl ich in Italien ja schon einmal selbstständig war. Ich hatte keine andere Wahl, um die deutsche Sprache zu lernen.
Manchmal habe ich auf den Blödsinn geguckt, den meine Mitschüler gemacht haben – aber wie sollte ich mich erklären? Damals habe ich eine Elektroanlage gebaut in einem Einfamilienhaus. Der Chef kam und sagte: „Luigi, was machen wir jetzt?“ Ich habe gesagt: „Ich habe kein Problem. Ich brauche nur eine Zeichnung, ein Schema, einen Plan von dem Gebäude und der Elektroanlage und dann kann ich dem folgen.“ Natürlich war meine Sprache noch nicht so gut wie jetzt. Er hat komisch geguckt, aber er wollte mir vertrauen. Wahrscheinlich hatte er keine andere Wahl. Er hat mir den Plan und die Werkzeuge gegeben und mir bis zum nächsten Freitag Zeit gegeben. Er kam jeden Freitag kontrollieren.
Am nächsten Freitag musste er feststellen, dass fast alles fertig war. Er fragte mich verwundert: „War der Micha schon da?“ Ich sagte: „Welcher Micha? Achso, der Kollege. Nein, der ist immer noch krank. Ich habe das gemacht!“ Er schüttelte mir mit beiden Händen die Hand. Von da an bekam ich eigenes Werkzeug und ein Auto. Ich hatte immer einen Helfer für die schmutzige Arbeit dabei. Das war der Anfang.
1989 habe ich endlich die erste Firma in Deutschland aufgemacht. Meine Ausbildung und bisherige Arbeit betraf eher den industriellen Bereich. Ich interessierte mich aber auch für den Bereich Haushaltsgeräte. Kaffeemaschinen, Küchengeräte. Ich war jeden Abend in einem Restaurant essen. Ich hatte gutes Geld, ein gutes Leben, eine gute Frau. Die haben mich immer gefragt, was ich gelernt habe. Ich habe immer gesagt, ich hätte ein bisschen Technik gelernt, denn ich wollte Musiker bleiben.
„Verstehst du davon was? Ich habe eine Maschine, die ist kaputt. Kannst du die reparieren?“ Ich habe gefragt, welche Maschine. Eine Teigmaschine. Ich habe mir die Unterlagen geben lassen, mir das Schema angeschaut und sie repariert. „Es war schon jemand da! Er hat geschwitzt und gesagt, da ist nichts zu machen! Und du reparierst sie einfach so!“
Und dann sprach sich das rum bei den den Italienern. „Der Schickimicki-Typ, dieser Musiker – der ist ein guter Techniker! In einer halben Stunde hat er meine Maschine repariert! Hast du seine Nummer?“ Ein Jahr lang lief das so. Ich habe mehr als Techniker denn als Musiker gearbeitet. Jeder hat mir empfohlen, eine Firma zu gründen. Denn es gab wenig Techniker. Ich habe gezögert. Ein fremdes Land, fremde Sprache. Dies und das. Ich kannte einen, der war Berater für Existenzgründung. Er wollte meine Unterlagen sehen.
Ich hatte zuvor ein Lokal eingerichtet. Ich habe für diesen Kerl später dreizehn Läden gemacht, aber das war der erste. Für Pronto Pizza in München. Er hatte auch diese Existenzgründung für eine Betreiberin gemacht, denn es handelte sich um ein Franchise. Die sollte den Laden leiten. Der hat gesagt: „Okay, Luigi. Ich will sehen, wie du dieses Lokal fertig machst und danach können wir darüber sprechen.“ Ich habe gesagt: „Kein Problem!“ Ich habe angefangen, ich habe das Lokal fertig gemacht. Er hat sich das angeschaut und am nächsten Tag konnte ich zu ihm kommen. Und er hat mir das fertig gemacht.
Es hat natürlich eine Weile gedauert, aber ich habe es geschafft. 1989 hatte ich mein Gewerbe. Ich habe nicht von Null angefangen, sondern von Drei. Ich hatte bereits alle Kontakte. … Damals war Deutschland eine Goldgrube. Man hat sehr gut verdient. Ich konnte Gas, Elektro, Wasser. Für mich kein Problem. Deswegen bin ich in der Großkücheneinrichtung gelandet. Da hatte ich gute Freunde, die haben mich ruiniert. Ich habe alles aus eigener Tasche bezahlt und sie sind nach zwei Monaten pleite gegangen.
Lokal geräumt, und verschwunden. Ich wollte sie umbringen. Man hat diese Lust. Aber ich hatte zwei kleine Kinder und ich dachte, dass sich das Risiko in dieser Form nicht rentiert. Ich hatte Pech gehabt. Ich wollte diese große Summe [150 000] wieder reinarbeiten und habe Tag und Nacht gearbeitet wie verrückt. Durch den Stress bin ich im Bett gelandet. Für einen Monat. Und da habe ich alles gelernt. Wie man sich benehmen muss. Wie man seine Grenzen kennen muss. Und wie man ohne zuviel Stress arbeiten kann. … Ich wollte nicht aufgeben. Ich wusste, ich bin fähig. Ich hatte nur einfach Pech gehabt. Ich habe eine Pause genommen, das Geschäft zugemacht.
Ich habe von Null angefangen. Ich hatte einen Bekannten, der mich für einen Auftrag nach Dresden brachte. Als ich das erste Mal in Dresden war 1992, wollte ich gleich wieder umkehren. Ich habe alles grau gesehen. Wo hatte mich dieser Kerl hingebracht? Am Ende hatte ich keine andere Wahl. Für mich war es eine gute Möglichkeit wieder einzusteigen. Ich habe mich bekreuzigt.
Ich habe gemerkt, den Kaffee hier kann man nicht trinken. In keinem italienischen Restaurant arbeitete ein Italiener. Um Gottes Willen, wo war ich gelandet?
Meine Familie war noch in München und ich pendelte. 1994 kam ich mit der ganzen Familie her. Damals war meine Frau noch dabei. Ich machte weiter, wie ich angefangen hatte. Ich habe viele Leute reich gemacht. Und ich habe nur meine Brötchen verdient. Siehst du, das ist das Schöne an mir. Ich habe an mich geglaubt. Ich habe viel Geduld gehabt.
1995 rum war die Trennung im Gange. 1997/98 war die Trennung durch … Die Kinder sind bei mir geblieben. Für mich waren die Kinder sehr wichtig. Um die Kinder zu behalten, musste ich gut Geld verdienen. Sonst wäre mir die Erlaubnis nicht gegeben worden. Dann habe ich geplant, wieder eine Firma zu gründen. Damals war Leonardo sieben Jahre alt und Sonia war 17. Sie war fast fertig mit ihrem Studium der Geschäftskauffrau. Mir ist die Idee gekommen, dass ich meine Kinder auch in der Zukunft absichern muss. Ich wollte eine Firma gründen, in die sie später einsteigen könnten.
Dabei ist Essebielle rausgekommen. Es sind drei Buchstaben: S ist Sonia, B ist unser Familienname und L steht für Leonardo. „S.B.L. sieht blöde aus“, dachte ich. Also habe ich es in Worten geschrieben: Esse Bi Elle. Ich habe gewartet, bis Sonia ihren Abschluss hatte und habe die Firma mit ihr gegründet.
Leonardo war ständig in meinem Transporter. Er ist zwischen den Maschinen aufgewachsen. Er hat die Tätigkeit von klein auf gelernt. […] Ich hatte immer viel Stress und Leonardo wollte das nicht. Ich war ruhig. Ich habe meine Kinder nie gezwungen. Sie sollten das aus ihrem Gefühl heraus machen und nicht, weil ich sage, dass ich das will. Ich habe mit Sonia angefangen und ihr alles beigebracht. Einkaufen, Papiere und alles. Wir haben uns in mit unseren Erfahrungen ergänzt.
Wir haben auf der Leipziger Straße angefangen und haben 2002 beim Hochwasser alles verloren. Das finde ich fantastisch gut: Immer wieder die Kraft finden zum Weitermachen. … Ich habe eine Wahnsinnsintuition in der Technik und auch wenn ich Schlagzeug spiele. Ich spiele Free Jazz. Das sind meine Fähigkeiten. Ich bin froh, denn so hat mich meine Mutter gemacht. Und natürlich mache ich immer weiter. […]
Ich sollte Kapitalist sein, aber ich schaffe nicht mehr, als gut zu essen. Aber ich wollte auch nicht mehr haben. Für mich ist das wichtigste das Gesicht der Kunden. An was man glaubt. Und nicht Holz zu kaufen und als Edelstein zu verkaufen. So wie es viele machen. Seit ich nach Dresden gekommen bin, ist es ein Kampf für mich. […]
Kaffee ist ein Gang in einem Gourmet-Menü. Das darf man nicht unterschätzen und beleidigen. Der Kaffee ist das Kompliment an das fertige Essen, für das sich der Magen bedankt und weiß, jetzt kann er gut verdauen. Leider ist dieses Niveau in Dresden noch nicht erreicht. Man versucht es beizubringen, aber am Ende landen alle beim Sparen. Das ist schade, aber es unterbricht nicht meinen Weg. Diese Kultur bleibt. Wer mir glaubt, kann genießen. Wer nicht, hat seine Probleme oder seine Form und Struktur – aber nicht meine. Ich bin froh über das, was ich geschafft habe. Nun schon in der zweiten Generation. Was will ich mehr?
Kunst ist mein ganzes Leben. Ich mache alles nach Kunst.
Gut zu wissen, dass bei Herrn Bentivoglio noch alles „klappt“. Etwas mehr Information als ich gebraucht hätte……
;-)
Ein wunderbarer Artikel :) Danke.
danke,immer wieder schön #einfache# dinge des lebens zulesen.
bitte weitere lebensgeschichten hier.
mfg dia
Was für ein tolles Titelbild!
Und der Text ist ja wie immer bei Philine sehr lebendig. Kann Philine nicht mal einen Friseurtest machen, damit man mal sieht, wer hinter dieser zwar nicht immer recherchesicheren, aber flotten Schreibe steckt?
Der weltbeste Kaffee der Welt & Luigi. :)
Großartiger Mensch der Luigi und seine bezaubernden Kinder Leonardo und Sonia erst! Sehr schön portraitiert wie ich finde! Weiter so, es braucht nicht mehr als das was gesagt wurde: „Ich sollte Kapitalist sein, aber ich schaffe nicht mehr, als gut zu essen.“ in diesem Sinne: bello che tu esisti!