Die Sitzung im Dresdner Ortsbeirat am Montagabend war heiß und stickig. Und das obwohl sogar einige Fenster offen standen. Passend zum Jahrhundertsommer der gestrige Tagesordnungspunkt: „Stadtklimatische Entwicklung im Ortsamtsbereich Neustadt mit Vorstellung des Landschafts- und Luftreinhalteplans unter Berücksichtigung der baulichen Entwicklungsperspektiven in der Äußeren Neustadt“.
Hört sich sperrig an und wurde auch ein relativ langer Vortrag. Aber spannend war es und wie es einer der Grünen im Ortsbeirat ausdrückte „ziemlich deprmierend“. Es referierten Thomas Pieper vom Stadtplanungsamt und Wolfgang Socher vom Umweltamt.
Das Problem der Äußeren Neustadt, immer mehr Lücken werden bebaut, teilweise auch in Hinterhöfen. Damit steigt die Anzahl der versiegelten Flächen und die Grünflächen nehmen ab. Rund ein Fünftel der Bäume habe die Neustadt in den vergangenen Jahren eingebüßt, sagte Pieper. Die paar Straßenbäume zum Beispiel an der Sebnitzer und Schönfelder Straße können das kaum wettmachen. Im Ergebnis wird es im Viertel heißer und stickiger.
Grundsätzlich gäbe es einen Konflikt zwischen dem Wunsch nach einer dichter besiedelten Innenstadt und den dadurch sterbenden Freiflächen, erläuterte Socher. Eine dichtere Innenstadt sei aus verschiedenen Gründen für die Umwelt gut. So würden die Wege eher mit dem ÖPNV, dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt, außerdem könne der Innenstadtbereich an das Fernwärmesystem angeschlossen werden. Und es müssten keine Grünflächen am Rande der Stadt für weitere Besiedelung herhalten. Soweit die Argumente pro Verdichtung.
Dagegen steht jedoch, dass bei einer engen Bebauung die Grünflächen reduziert werden und dass jedes weitere Haus zur Erwärmung der Stadt beiträgt.
Man könne Bauherren diesbezüglich nicht sehr viel vorschreiben, erklärte Socher, außerdem beklagte er, dass sein Amt in der Regel viel zu spät von Bauprojekten erfahre, meist sei dann schon alles fertig geplant. Dabei könne man bei fast jedem Bau Verbesserungen erreichen. So können man die Aufheizung an Baukörpern und Verkehrsflächen mindern, zum Beispiel durch helle Baumaterialien, Baustoffe mit geringen Wärmespeicherungskoeffizienten, Dach- und Fassadenbegrünung, Schotterrasen statt Beton oder Asphalt. Sinnvoll seien auch schirmförmige Gehölzgruppen und Einzelgehölze oder die Beschattung befestigter Freiflächen oder Wasserrückhalt und offene Verdunstungsflächen.
Die von den Grünen so häufig geforderten großkronigen Straßenbäume seien aber nicht immer die beste Lösung. Unter Umständen kann es auch unter solchen Bäumen auch zum Luftstau kommen, vor allem in engen Straßen.
Thomas Pieper führte aus, dass das Stadtplanungsamt versuche, die Verdichtung in der Äußeren Neustadt auf die Blockrandbebauung zu konzentrieren. Dadurch entstehen Innenhöfe mit Lebensqualität. Außerdem setze man sich dafür ein, die Versiegelung zu reduzieren und Stellplätze in den Innenhöfen zu vermeiden. Ein kleiner Schritt in diese Richtung sei die Änderung der Stellplatzablöse im Juni diesen Jahres.
Aus Sicht des Stadtplanungsamtes sollte in den Grundstücksinnenbereichen eine zusätzliche bauliche Verdichtung nur in Ausnahmefällen gestattet werden. Allerdings liegt da offenbar das Problem, denn wenn ein Grundstückseigentümer nach Paragraph 34 Baugesetzbuch bauen will, muss das meist genehmigt werden.
Ein bisschen stolz ist Pieper aber auf einige Projekte, bei denen es gelungen ist, den Grün-Anteil im Viertel zu erhalten, so die Spielplätze an der Talstraße und die große Grünfläche zwischen Louisengrün-Spielplatz und Panama.
Für jeden Quadratmeter versiegelte Fläche sollte es einfach vorgeschrieben sein, eine exakt gleich große Ausgleichsfläche direkt am Objekt zu begrünen. Das ginge mit Dachgärten oder begrünten Fassaden, hinter den selbst die ausnehmend hässliche „Investorenarchitektur“ (zumindest teilweise) verschwindet.
@Ronny
Es wäre durchaus wünschenswert, wenn die Kommune solche stadtklimatisch wirksamen Maßnahmen vorschreiben könnte. Wie im vorletzten Absatz des Artikel erwähnt, ist es bei Vorhaben im Innenbereich, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung der näheren Umgebung einfügen kaum möglich solche Vorgaben zu machen (§34 BauGB). So lange rundrum Gebäude stehen, hat ein Eigentümer faktisch einen Anspruch darauf bei sich ein ähnliches Gebäude errichten zu dürfen. Die aktuellen Bundes- und Landesgesetze geben den Kommunen da zu wenig Spielraum. Das ist es auch, was mein Fraktionskollege als „ziemlich deprimierend“ bezeichnete.
Wenn die Kommune grün haben möchte, kann sie ja gern Grundstücke erwerben und begrünen. Die Gelegenheit dazu gab es in der Neustadt nach der Wende reichlich. Ich erinnere nur an die Kreuzung Alaun-Louisenstraße. Da waren 3 Eckgrundstücke frei.
Jetzt zu heulen, daß es die Eigentümer nicht richten, ist etwas bigott.
Immer schön nachverdichten die Neustadt. Jede Frischluftschneise dichtmachen.
Auf der Karte ist sehr gut zu erkennen, dass die Frischluftzufuhr für die Neustadt über den Heller bzw. über die Königsbrücker Str. in die Neustadt kommt. Also über das Industriegebiet, mit einem Asphaltmischwerk und einem im letzten Sommer, von der Stadt Dresden, genehmigten Betrieb zur Lagerung von ca. 1000 Tonnen gefährlichem Chemieabfall. Vielleicht sollte man sich eher mal fragen, was für eine Qualität die Luft hat, die in der Neustadt ankommt. Oder die Karte mal dem Umweltamt der Stadt zukommen lassen.
@01: Zum einen stammt die Karte vom Umweltamt, zum anderen sehe ich die Frischluftzufuhr hauptsächlich über die Heide bzw. durch den Prießnitzgrund.
So eingeschränkt ist der Handlungsspielraum der Kommune nicht wirklich! Bisher fehlte aber der Wille bei den Politikern und auch bei der Verwaltung ernsthaft gegen zu steuern. Es gibt eine unausgesprochene Allianz unter dem Motto „Nicht Kleckern sondern Klotzen“. Die Argumente sind dafür sehr vielfältig: So träumen CDU-Abgeordnete von der Grossstadt mit bald 650.000 oder mehr Einwohnern, ohne sich dabei Gedanken zu machen, wo den die neuen Einwohner herkommen sollen (jetzt kommen sie zumeist aus den Nachbargemeinden). Linke befürchten eine Wohnungsnot und wollen um jeden Preis bauen, Art und Weise der Bebauung interessieren dabei wenig. Die Grünen kämpfen gegen die Zersiedlung der Landschaft und für eine Verdichtung der Innenstadt (was an sich vernünftig ist) und übersehen dabei, dass dabei auch die Wohnqualität nicht unter die Räder kommen darf. Die Konservativen (so will ich sie mal nennen) wollen, dass alles so wie früher wird, also auch die verdichtete Stadt. Die FDP ist sowieso dafür und die Investoren wollen eine maximale Grundstücksausnutzung. Die Architekten träumen von der steinernen Stadt und der Verwaltung (insbesondere Stadtplanung und Bauaussichtsamt) fehlt der Mut oder der Wille auch einmal gegen zu halten.
Den Paragraph 34 kann man unterschiedlich auslegen (streng oder grosszügig). Es gibt dazu auch durchaus unterschiedliche Handhabungen in anderen Städten. Bei dem Bauvorhaben Seifhennersdorfer Strasse 10 in der Neustadt hat die Verwaltung nicht einmal die Darstellung der 16m hohen und 40m langen fensterlosen Brandwand im Baugenehmigungsverfahren verlangt, geschweige denn eine Begrünung oder die Anbringung von Nistmöglichkeiten zu verlangen.
Weiterhin gibt es die Baunutzungsverordnung, die als Handhabe genutzt werden könnte oder aber ein einfacher Bebauungsplan (der zum Beispiel für die Seifhennersdorfer Strasse schon vorhanden ist, aber niemals beschlossen wurde).
Hätte Dresden vor gut 10 Jahren nicht den Grossteil seines Immobilienbestandes veräussert wäre heute natürlich vieles einfacher zu steuern Jetzt hat man mühsam begonnen wieder eine eigene Wohnungsbaugesellschaft auf zu bauen.
Vielleicht wachen nach diesem Sommer doch ein paar Beteiligte auf, zumindest wird schon über das Thema geredet.
Vermutlich wird es aber so sein, dass Veränderungen kommen, wenn der Bauboom in ein paar Jahren sowieso schon wieder vorbei ist. Bis dahin werden wir wohl einer weiteren Fragmentierung der Stadt beiwohnen können. Es werden neben hoch verdichteten Gebieten weiterhin grosse Brachflächen bestehen bleiben und vielleicht bekommen wir ja auch noch ein paar schöne Hochhäuser dazu, denn wie lautet das Motto zur Zeit? „Nicht Kleckern sondern Klotzen“ bis die nächste Baumode heran gereift ist (so war es zumindest bisher immer). Vielleicht ist dann zu Abwechslung mal wieder die aufgelockerte Stadt an der Reihe nur diesmal mit Landeplätzen für Flugmobile oder etwas anderes schönes?
Lassen wir uns überraschen! :)
Hallo Anton Launer,
das sollte auch Ironie sein, denn das Umweltamt genehmigt all die Anlagen im Gewerbegebiet des Hellers. Die Luftschneisen sind etwas breiter. Dies kann man auch sehr gut sehen, wenn der Qualm aus der Esse des Asphaltmischwerkes bei Wind direkt in die Stadt zieht. Dresden war 2014 laut WHO die schmutzigste Stadt Deutschlands und die zehn schmutzigste Stadt weltweit, sie hat sich auf ihrer Website zu zahlreichen Dingen festgelegt, um diese Situation zu verbessern. Der politische Wille ist genau der Punkt. Durch die besondere geographische Lage der Stadt, quasi wie in einer Wanne, werden Sommer wie dieser noch extremere Auswirkungen haben, als in anderen Städten. Nun das Thema Grundstücksbebauung zu diskutieren, wobei es für Eigentümer die normalste Konsequenz ist bei den Kaltmieten zu bauen und ein Leichtes Investoren zu finden, ist absurd.
Hast du dafür ne Quelle? Who-Statistik…
„Glaubt man den Messwerten der Weltgesundheits-Organisation WHO, ist Dresden die dreckigste Stadt Deutschlands. In keiner anderen Region ist die Belastung durch Feinstaub so hoch wie in der sächsischen Landeshauptstadt …“
(Quelle: https://www.wetter.de/cms/panorama-luftverschmutzung-in-deutschland-diese-staedte-sind-belastet-888274.html)
„Die Neustadt hat die dreckigste Luft“
(Quelle: https://www.port01.com/shortnews/Dresden/Die_Neustadt_hat_die_dreckigste_Luft-2-612.htm)
Kurz googeln und man findet alles, das Amtsblatt der Stadt Dresden ist online und es gibt für alle zugänglich einen sehr umfangreichen „Luftreinhalte- und Aktionsplan 2008“ zu Dresden.
usw. usw. usw.
Der Port01-Artikel ist sehr merkwürdig. Hilbert als Umweltbürgermeister, schräg.
Ansonsten sagt der Sicher im Wesentlichen das Gleiche wie am Montag im Ortsbeirat.
Und leider hat auch Wetter.de keine Who-Quelle angegeben. Die hab ich nämlich nicht gefunden. Wollte nach aktuellen Zahlen schauen. Aber danke für die Mühe.
@01: Die o. g. links sind unglaubwürdig. Lt. WHO hatte 2015 Dresden diese Daten gar nicht: http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/280842/CityFactSheetsBook_12-06.pdf
Hilbert war Wirtschafts- UND Umweltbü – das macht ja wirtschaftsliberal auch Sinn. Mit der Kommu-Wahl wurden einige Geschäftsbereiche neu verteilt und die Umwelt wieder eigenständig.
5-Zeilen-Meldungen ohne weitere Angaben, wie von User 01 gebracht, sind natürlich Käse. Zum Asphaltwerk wären weitere Infos dienlich, wachsamer User 01, wobei ein Umweltamt freilich kein Werk genehmigt sondern den umweltrechtlichen Fachbeitrag erstellt und eine Bewertung abgibt.
Das Verdichtungs-Überhitzungs-Thema kann hier nicht zureichend dargelegt werden, daher nur kurz meine Sicht:
– die paar Hofbebauungen, sofern sie ungemildert kämen, sind nicht maßgeblich.
– schlimm und hochversiegelt sind die großen Neubauten wie Pfunds Höfe.
– es wäre bereits toll, wenn man grünere Innenstadtplätze und Schulhöfe hinbekäme, ein Konsens hierzu ist nicht abwegig.
– super wäre, hellen Asphalt wie in anderen Regionen (z.B. Hamburg) zu verwenden (anderer Splittzuschlagstoff), denn die stadtweiten Verkehrsflächen sind maßgeblicher Teil des Problems.
– Baurecht / B-Pläne bieten durchaus Möglichkeit, zu ordnen (Freihaltung). Hierzu wären die Baurechtsleute anzuhören, denn Pieper nahm sich als Experte hierfür selbst aus. Die alten ‚Schutz-B-Pläne‘ der Neustadt, welche Kraut und Rüben hindern sollten, sind eventuell zu qualifizieren, bis zur zureichenden Planreife.
– abseits dessen bzw. ohne scharfe Schwerter kann jede Verwaltung eine Genehmigungspraxis ausüben, welche sich sehr schnell in Baukreisen rumspricht: kommt man hier und da nicht entgegen, dauerts bis zur Genehmigung. Die Trickkiste für Aufschub im Verfahren ist groß. Das wirkt, da Bauträger meist keine Zeit haben. Dazu erforderlich ist aber ein Willen im Amt – ein Knackpunkt. Zum Bremsen des Baugeschehens kommt es i.d.R. nicht, da Bauwillige schon mit ‚konfliktfreieren‘ Projekten ankommen.
– weiterhin Spitze wäre: den Trend zur ges.städt. Entgrünung wieder umzukehren. Ist vielfältige Herausforderung. Ein wichtiger Punkt: mehr Geld fürs ASA – z.B. für Straßenbäume und Hitzevorsorge. Mit dem Geld können auch mehr Leistungen extern eingeholt werden, die das Amt nicht selbst schafft. Hunderte aktuell hitze-abgestorbene Straßenbäume müssen vermutlich ersetzt werden – bald sind Haushaltsverhandlungen.
Und Kompromißvorschlag für Architekten, Stadtplaner und Amtsmänner: eine ‚Steinerne Stadt‘ muß ja keine ‚Nacksche steinerne Stadt‘ sein, sondern sie kann wunderbar hübsch eine ‚Begrünte steinerne Stadt‘ sein.